Tagebuch

Bericht über das Projekt „Mosaikbänke – Vielfalt gefällt“, Reutlingen
Von den 115.665 in Reutlingen lebenden Bürgerinnen und Bürger haben etwa 40 Prozent
einen Migrationshintergrund, das sind 46266 Reutlingerinnen und Reutlinger. Unsere Stadt
ist also ein Mosaikbild aus Menschen mit bunten Lebensgeschichten, erst durch die
Anwesenheit von jedem wird aus den verschiedenen Gesichtern eine Gesellschaft, ein
vollständiges Bild.
Das wollten wir künstlerisch darstellen, einen Ort der Begegnung schaffen, der gleichzeitig
zeigen soll, wie schön Vielfalt ist und was daraus entstehen kann.
Ferda international arbeitet in Reutlingen zusammen mit dem Haus der Familie und der
Volkshochschule. Diese zehnjährige Partnerschaften sollte mit einem Geschenk geehrt
werden, einer Sitzbank aus Mosaiksteinen, ein Gemeinschaftswerk, das so bunt und
vielfältig ist, wie die Bürger von Reutlingen es selbst sind und das gleichzeitig Menschen
zum Zusammenkommen einladen würde. Ein Ort, an dem man sich austauscht und die
Diversität erlebbar macht.
Dafür haben sich Ende Dezember 2017 etwa 25 Teilnehmerinnen zum ersten Mal in der
Werkstatt der Volkshochschule getroffen. Schön war, dass sich viele schon kannten und
genauso schön, dass sich einige noch fremd und unbekannt waren und daraus neue
Freundschaften entstanden sind. Teilnehmer mit etwa elf verschiedenen Nationalitäten
waren wir, Menschen mit den unterschiedlichsten Lebensgeschichten, die alle erzählt
werden wollten, dem entsprechend hoch war auch der Lärmpegel und die Lautstärke von
Gelächter während unserer Arbeit, die zunächst darin bestand, einen Zugang zu der Arbeit
mit Mosaiksteinen zu bekommen. Bevor wir an der Sitzbank arbeiten konnte, war es
notwendig alle technischen Details eines Mosaikbildes kennenzulernen. Darum hatte sich
die künstlerischen Leiterin Susanne Immer überlegt, dass jeder zur Übung ein Mosaiktablett gestalten sollte. Das klang anfänglich noch nach Bastelspaß, wurde allerdings zu einer künstlerischen und technischen Herausforderung. Die Schwierigkeit bestand vor allem darin ein passendes Motiv für das Tablett zu finden. Sollte es abstrakt oder konkret werden? Um diese Frage zu klären, tigerten einige durch die Werkstatt, um sich Inspirationen bei den anderen Teilnehmern zu holen. Wie passen Form und Farbe der Mosaiksteine zusammen und wo gerate ich an meine Grenzen, wenn ich aus den eckigen Steinen eine runde Form legen will? Eine Herausforderung bei der schließlich der Hammer und der Fliesenschneider zum Einsatz kam. Die Mosaiksteine kann man nun nicht einfach auf einen Untergrund kleben, dieser muss zuvor grundiert werden, außerdem brauchen die Mosaiksteine einen gewissen Abstand zueinander, um mit Fugenmaterial ausgefüllt zu werden. Später müssen die Steine des Tabletts gesäubert werden, ohne dass von der noch feuchten Fugenmasse Schlieren über die Steine gezogen und die Fugen wieder ausgewaschen werden.
Die Teilnehmer erlernten also alles, was ein Fliesenleger ebenfalls in seiner Ausbildung erlernt. Die Vorarbeit, bevor wir uns an die Bank trauten, war daher sehr sinnvoll und notwendig. So war das Grundverständnis für die Arbeit mit den unbekannten Materialien schon da, als dann doch Schwierigkeiten aufkamen, war eine große Solidarität bei allen Teilnehmern zu spüren, die sofort zur Hilfe eilten, denn es war allen sehr bald klar, wir arbeiten an einem Gemeinschaftsprojekt, für das die Leistung von jedem wichtig ist und auf keinen verzichtet werden kann.
Das Schöne an einer Gemeinschaftsarbeit ist, zu sehen wie das Ergebnis wächst, dank der Tatkraft von allen. Die Schwierigkeit besteht darin, die Vorstellungen von allen
Beteiligten zu vereinen, ein gemeinsames Ziel festzusetzen und Menschen mit starken Persönlichkeiten und verschiedenen ästhetischen Vorstellungen auf ein einheitliches Bild, das die Vielfalt aber nicht entbehren soll, zu vereinen, keine leichte Aufgabe. Das zeigte sich sobald wir an die Arbeit mit der Bank gingen. Die Form stand relativ schnell fest, unter
Berücksichtigung technischer und rechtlicher Notwendigkeiten.
Ein großes Dankeschön geht an dieser Stelle an die Lehrer und Schüler der Kerschensteinerschule in Reutlingen, die uns den Rohling der Bank für das Haus der
Familie und die Sitzgelegenheiten für die Volkshochschule nach unseren Vorgaben
herstellten. Wie das jeweilige Herkunftsland der Teilnehmer und damit die Erziehung, die Werte, die Art des Denkens, Einfluss auf die ästhetischen Vorstellungen hat, war spätestens jetzt nicht mehr zu übersehen. Diese Vielfalt unserer Ideen für das Mosaikbild war wunderbar und gleichzeitig der Grund für angespannte Diskussionen. Dass der Ton und die Stimmung aber nie zu kippen drohte, ist sicher dem Humor und den respektvollen Umgangen aller Teilnehmenden miteinander zu verdanken. Viel einprägender, als die Differenzen in unseren künstlerischen Vorstellungen, war es, wenn wir merkten, dass wir die unterschiedlichen Vorstellungen vereinen und die unterschiedlichen Ideen über die Brücke der Kunst, mit Toleranz und des gemeinsamen Lachens verbinden konnten.
Inzwischen war klar, dass uns das Projekt mehr fordern würde als ursprünglich
angenommen, mehr Zeit und Energie. Bei keinem wirkte diese Erkenntnis lähmend oder
abschreckend, ganz im Gegenteil, einige der Teilnehmer nahmen sogar Mosaiksteine mit
nach Hause, um bei dem nächsten Treffen ihre Ideen zu präsentieren und konkrete
Vorschläge zu liefern, wie man diese als Kunstwerk aus Mosaiksteinen umsetzten könnte.
So viel Einsatz wirkt sich natürlich motivierend auf die ganze Gruppe aus.
Als Bild für die Bank haben wir uns für eine Blumendarstellung entschieden. Auf den
großen Sitzflächen sieht man ein blühtenähnliches Element, an deren Seiten vielfältig
diffundierende Farbschichten, durchzogen von Wurzeln, gelegt wurden. Es ist ein
metaphorisches Bild für die Gemeinschaft. Nicht durch abgegrenzte Kanten können wir
etwas erreichen, sondern durch Offenheit und Mut auf das Unbekannte zuzugehen, dafür
stehen unsere ineinander überfließenden Farbschichten. Mit dieser Einstellung wird die
Gemeinschaft kraftvoll, um wie eine Blume aufzublühen, eine Blume mit vielen,
tiefgehenden und weitreichenden Wurzeln, die alle die Blume mit Energie versorgen.
Wurzeln schlagen zu können in einer Neuen Heimat!
Die Steine wurden nicht einzeln auf die Bank geklebt, sondern wir arbeiteten immer noch in der Volkshochschule und legten abschnittsweise die Motive auf die finale Form der Bank, so konnten wir alle gleichzeitig zusammen arbeiten ohne uns im Weg zu sein. Wir klebten die gelegten Abschnitte aneinander und übertrugen sie als Solche auf die Bank vor dem Haus der Familie. Entstanden ist ein einheitliches Kunstbild das gleichzeitig die Vielfalt
 unserer Stadt abbildet. Das schöne ist, dass man die Besonderheiten der verschiedenen
Herkunftsländer der Mosaik-Leger an der Bank sehen kann, Vielfalt eben.
Vielleicht war es gut dass wir uns zu Beginn des Projektes das Ausmaß der Arbeit nicht
bewusst gemacht hatten, sonst wären wir möglicherweise zurückgeschreckt, denn zu dem gesetzten Termin das fertige Kunstprojekt abzuliefern, wurde langsam zu einer fast
utopischen Vorstellung. In solchen Situationen zeigt sich was „gemeinsam“ bedeutet.
Gemeinsam erreicht man vieles was unmöglich erscheint. Gemeinsam kann man auch mal
sieben Stunden am Stück Mosaike legen und natürlich gemeinsam eine Pause machen, in
der man etwas darüber lernt, wie das Leben in Eritrea ist, das Gefühl in Reutlingen eine
neue Heimat gefunden zu haben, der Weg von Kolumbien nach Deutschland, die
Entscheidung Italien zu verlassen…..
Unsere Arbeit hat knapp 9 Monate umfasst, in dieser Zeit haben wir Orte der Begegnung
errichtet und sind uns dadurch immer wieder begegnet, unser Arbeit war also nicht nur auf
ein Ziel hin gerichtet, sondern war für sich schon Ziel selbst.
So verwundert es nicht, dass die Sitzgelegenheiten an der VHS genau dieses motivisch
aufgreifen, Farblinien – und Spiralen bewegen sich über die Sitze, vereinen sich und werden an ihren Enden immer vielfarbiger. Ein wirkliches Symbol, dass Unterschiede
zusammenwachsen und Individualitäten miteinander ein Ganzes, Gemeinsames bilden.
Die Sitzgelegenheiten für die Volkshochschule Reutlingen dienten bereits bei der
Eröffnungsveranstaltung der Interkulturellen Woche in Reutlingen als Sitzgelegenheiten für
den Polit-Talk. Die Grünen- Abgeordnete Beate Müller-Gemmek, die Abgeordnete im
Bundestag der Linken Jessica Tatti, der CDU-Abgeordnete Michael Dohnt und der
Stellvertretende Vorsitzende des LAKA Baden-Württemberger Rino Lervolino nahmen
darauf platzt und wurden zum Thema Herausforderungen und Möglichkeiten im Thema
Integration in Deutschland befragt.
Unsere Bank und unsere Sitzmöglichkeiten stehen jetzt vor dem Haus der Familie und der
Volkshochschule in Reutlingen und werden von spielenden Kindern beklettert. Die
unterschiedlichsten Menschen sitzen darauf, hier kommt man zusammen für einen
Austausch, trennt sich danach wieder und nimmt etwas von dem Leben des anderen mit.
Man hat den Stolz der Teilnehmer nach Beendigung der Bank und der Sitzelemente auf das Geschaffte gespürt. Ein Zuwachs an Selbstbewusstsein und -vertrauen konnten alle
mitnehmen und erleben.
„Wir alle sind sehr stolz darauf, mit unserer Arbeit die Vielfalt Reutlingens aufgezeigt zu
haben, wir sind Mosaiksteine und ergeben erst zusammen ein ganzes Bild.“
Bericht: Fedra Immer